Wie ein Pirat den Feminismus kennen lernte

Veröffentlicht auf von felixwernerludwig

 

Seit dem Jahr 2000 bin ich als Aktivist für Attac-Nahe „Organisationen“ und „Vereine“ unterwegs. Meine Themengebiete sind vor allem globalisierungs-kritisch und sozial, mit dem Thema Feminismus hatte ich mich nie ernsthaft beschäftigt. Ich fand einfach, solange Menschen regelrecht versklavt werden, Eltern ihre Kinder nicht ernähren können und Diktatoren ungehindert Geschäfte mit „uns“ machen, gibt es drängendere Probleme, als ein Gender-Gap oder Frauen-Quoten.

 

http://www.slamonline.com/online/wp-content/uploads/2008/03/nerds.jpg2009 wurde die Vorratsdatenspeicherung in Deutschland beschlossen und ich trat spontan der Piratenpartei bei. Ich war einer der wenigen Nicht-ITler und lernte die sogenannten Nerds als Außenstehender kennen. Die Piraten waren (sind) vor allem blasse, dickliche Männer, die zu viel Pizza essen, zu selten an die frische Luft kommen, ständig krank sind, unreine Haut haben, alles unnötig kompilziert machen, denen ein ernsthafter Sinn für Ästethik fehlt, sich wirklich schlecht ausdrücken können, und, und, und, … kurz gesagt, das Gegenteil von einem Frauenschwarm sind. Und die Meisten würden sich einen Finger abhacken, um eine Freundin zu bekommen oder eine größere Anziehungskraft auf Frauen zu haben. Oder vermutlich würden sie eher einen Fuß opfern wollen, denn die Finger braucht man ja noch zum Tippen. Ich kenne keine Gruppierung, in der mehr alternde Jungfrauen unterwegs sind, als in der Piratenpartei. Sie sind unsexy und leiden im Inneren unter weiblicher Geringschätzung, die sie zu asexuellen Roboterwesen degradiert.

 

Die Piraten waren nie eine Ein-Themen-Partei, aber die Themen, die sie hatten, waren vor allem Digital. Die Vorratsdatenspeicherung verhindern, eine größtmögliche Transparenz politischer Prozesse durch das Internet generieren, Basisdemokratie online bundesweit ermöglichen (Liquid Democracy), das waren die ersten Ziele. Das größte Problem im Bundestagswahlkampf 2009 war, niemand wollte die Katze im Sack kaufen. Die Wähler wollten wissen: „Welche Bildungspolitik erwartet uns, wenn wir euch wählen, welche Gesundheits-, welche Finanz-, welche Bildungs-Politik?“ Und natürlich wollten die Feministinnen wissen, welche Frauen-Politik vertreten die Piraten? Aber was soll man als junge Partei machen? Soll man mit den Fingern schnippen und über Nacht zaubert man ein allumfassendes Parteiprogramm aus dem Hut? Programme wie die, an denen die etablierten Parteien seit Jahrzehnten basteln? Das wäre naiv und wer solche Vorstellungen hat, der war noch nie in der Situation, eine Parteistruktur für 12.000 Neumitglieder aus dem Boden stampfen zu müssen. Wir hatten ja immerhin noch den Anspruch, dies besonders transparent und basisdemokratisch zu tun. Und das ist mehr, als „die Anderen“ aktuell von sich behaupten können.

 

Stromausfall beim Bundesparteitag in Bingen 2010

 

Was folgte, war unschön, aber durchaus logisch: Jeder, der seine eigenen Wünsche und Positionen nicht bei den Piraten wiederfand, war Wähler einer anderen Partei. Das ist verständlich. Leider haben die Menschen die schlechte Angewohnheit, hieraus direkt und indirekt eine Konkurrenzsituation zu schließen und für die eigene Partei, gegen „die Konkurrenz“ Stellung zu beziehen. Wir wurden im Wahlkampf als Kinderficker beschimpft, die Rechte nannte uns linksradikal, die Linke denunzierte uns als Nazis, für die Feministen waren wir allesamt Sexisten. Das Beste an diesem bizarren Theater aber war: Wir wussten es selber nicht. Welche Aussage sollte man auch treffen, wenn die Frage nach Rechts oder Links einfach noch nie an alle Piraten gestellt werden konnte? Schon zeitlich war dies, zumindest nach basisdemokratischen Prinzipien, schlicht unmöglich. Die mit Abstand dümmsten Kritiker allerdings waren jene, die ganz aufgeregt an unsere Infostände kamen und sich beschwerten, weil die wir die Piraten unterstützen würden, die vor Somalia Frachtschiffe kaperten. Antje Schrupp, Journalistin, Politikwissenschaftlerin und vor allem Feministin aus Frankfurt, betreibt diese Argumentation bis heute, um die Piratenpartei zu kritisieren:

 

http://2.bp.blogspot.com/_AjK_1gg6W8s/Rx-HoE9YiJI/AAAAAAAAA6U/EQAmx9wBrjw/s400/Feminismus.jpg„Und natürlich wäre es dumm, von Piraten Fairness zu erwarten. Piraten sind qua Definition keine Gentlemänner. Es wäre naiv, darauf zu hoffen, dass sie sich darum scheren, wie es anderen geht, zum Beispiel Frauen. Piraten fühlen sich grundsätzlich für andere nicht zuständig. ...“

http://antjeschrupp.com/2009/09/03/kann-eine-feministin-piraten-wahlen/

 

Wird die CDU von christlicher Nächstenliebe getrieben? Ist die sozial-demokratische Erfindung von Hartz 4 sozial? Frau Schrupp ärgert sich in ihrem Artikel über eine Antwort-E-Mail der Piraten im Bezug auf ihre Frage nach feministischen Positionen, weil die Piraten sie zur Mitarbeit einladen. Was hätte die Dame denn gerne gehabt? Mir drängte sich der Gedanke auf, jede Antwort wäre falsch gewesen. Das einzig befriedigende für sie wäre gewesen, wenn die Piraten kommentarlos exakt ihre Positionen übernommen hätten. Ohne Beschlussvorlage, ohne Abstimmung, einfach so.

Wo hat die Frau eigentlich Politikwissenschaften studiert? So funktioniert das nicht!
In jener Zeit waren die Piraten froh, Mitgliedsanträge mit weniger Verzögerung als drei Monaten zu bearbeiten. Mich wundert am meisten, das sie überhaupt eine Antwort bekommen hat, bei all dem Chaos. Wer jetzt meint, diese Probleme schneller, besser, toller lösen zu können, nur zu. Beweist es, macht es, gründet eine Partei und danach sprechen wir uns nochmal.

 

Die Kritiker stürzten sich auf alles, was sich irgendwie gegen die Piratenpartei verwursten ließ. Da forderte Vorstandsmitglied Aaron König in seinem Blog die Bombardierung des Iran, Bodo Thießen meinte, der Überfall auf Polen 1939 sei Selbstverteidigung gewesen, verschiedene Gruppen forderten die Übersetzung der Vorstandsbeschlüsse ins Klingonische und Lena Simon sah sich auserkoren, als Frauensprecherin der Piratenpartei auf zu treten. Das sie dazu niemand gewählt hatte und die anderen Piratinnen davon nichts wussten, wen interessierte das das schon? Die Feministinnen Deutschlands zumindest nicht, denn diese griffen das Thema sofort auf und fabulierten von einem Gender-Kampf bei den Piraten, der gar nicht wirklich existierte, weil die Piraten gerade mit ganz existenzielleren Problemen zu kämpfen hatten. Besonders bizarr wirkt auf mich die Argumentation der Internet-Feministinnen immer dann, wenn sich Piratinnen zu Wort meldeten, die sich aber auch partout nicht unterdrückt fühlen wollen. Denen wurde dann erklärt, sie müssten sich halt mehr mit dem Thema Feminismus befassen, dann würden sie schon merken, wie sehr sie vom Patriachat bevormundet würden. Urplötzlich wurden Leute, die viel zu jung waren, die Feminismus-Debatten verbitterter Alt-68erinnen jemals miterlebt zu haben, von einer regelrechten Hass-Welle überspült. Sexisten, potentielle Vergewaltiger, Männerschweine, Frauen-Hasser, dass sollten auf einmal jene Jungs sein, deren größte Liebe bisher ihr Computer gewesen war. Und die PiratINNEN erst, angeblich alles Anti-Feministinnennen! Alles nicht mehr ernst zu nehmen, wenn man bei 16 Grad Minus Plakate aufhängt.

Die Begründungen dafür waren unterirdische Stereotype:

 

- „die Piratenpartei ist eine Internetpartei, im Internet gibt es viele Pornos, also sind alle Piraten sexsüchtige, Frauen schändende Maniacs“

 

- „die Piraten sind Piraten und Piraten sind keine Gentleman, kennen daher keine Frauenrechte“

 

- „in der Piratenpartei sind zu 90% Männer, also müssen die ja Frauenfeindlich sein, sonst würden sich dort ja mehr Frauen engagieren“

 

- „die Piratenpartei hat keine Frauenquote und ist deshalb die frauenfeindlichste Partei“

 

- „bei den Piraten gibt es einen Männer-AK, einen Arbeitskreis für Waffenrecht "AK 47" und einen "AK Furzkissen", also müssen das allesamt Macho-Faschisten-Schweine sein“

 

Obwohl die Gefühlslage der meisten Piraten zwischen erstaunt und schockiert schwankte, war die Antwort auf derartige Feministen-Attacken größtenteils immer die Gleiche: „WTF?“ - What the Fuck, haben wir euch eigentlich getan? Bringt euch doch ein, Mädels. Wir können jede Unterstützung gebrauchen. Frauen sind bei uns ein rares Gut.

 

Aber für „die Feministinnen“ schien zu gelten: „Ihr übernehmt kritiklos unsere Forderungen, oder ihr seid schlechte Menschen (Männer).“ Das sah ich sehr kritisch. Aber sei es drum, ich bin ein medien-kritischer Mensch und möchte mir meine Meinung nicht von Leuten verbilden lassen, die lediglich am lautesten schreien.

 

http://www.wiedenroth-karikatur.de/KariAblage0806/20080602_SchwarzerOrtgiesFeminismus.gif

 

Als erste Quelle zog ich eine Feministin zu Rate, die ich schon etwas länger kenne, meine Mutter. Diese erklärte mir, ich könne das Problem nicht verstehen, weil ich schließlich von einer emanzipierten Frau erzogen wurde. Danach kam meine Freundin dran. Die allerdings meint, ich könne die Feministinnen nicht verstehen, weil ich eh keinen Unterschied zwischen Frauen und Männern sehe; „Du hälst doch ALLE Menschen für völlig irre.“ Fast alle meine Kolleginnen bei der Arbeit meinen, das Thema Feminismus habe sich erledigt, sie seien schließlich emanzipiert, nur im Haushalt könnten sich die Männer mal etwas mehr bemühen.

 

Als nächstes forschte ich im Internet. Dort wird überall der Gender-Gap angeführt, das Frauen durchschnittlich 25% weniger verdienen. Dies schien mir seltsam, denn ich kenne keine einzige Frau, die für die gleiche Arbeit 25% weniger verdient hätte, als ich in dem selben Job. Auf der Homepage des statistischen Bundesamtes stolperte ich dann auf eine andere Aussage. Der Gender-Gap beträgt „nur“ 8% und dies sei strukturbedingt. Argumentieren die Feministinnen etwa mit falschen Zahlen?

 

http://www.ursula-scheu.de/img/Suffrag_gross.jpg

 

In der Zwischenzeit hatte ich auch den Gender-Arbeitskreis der örtlichen Grünen entdeckt und fragte via E-Mail nach dem nächsten Treffen des Arbeitskreises. Da der nächste Termin noch nicht festgelegt sei, solle ich doch einfach mal zu einer Mitgliederversammlung kommen, war die freundliche Antwort. Gesagt, getan. Auf der Mitgliederversammlung wurden die Delegierten für die nächste Bundesdeligiertenkonferenz gewählt. Es standen sechs Plätze zur Verfügung, drei für Männer und drei für Frauen. Die zehn männlichen Bewerber kämpften um jeden Platz, kannten jede Beschlussvorlage und verteidigten verbissen ihre politischen Positionen. Bei den Frauen lag dies anders, es waren nämlich nur drei Frauen anwesend. Die Erste bewarb sich, weil sie schließlich auch zu den letzten vier BDKs gefahren sei, die Zweite wollte sich „so eine BDK auch mal anschauen“ und die Dritte konnte erst zu einer Teilname überredet werden, nachdem man ihr die Übername der Reisekosten versprochen hatte. Da soll sich jetzt jeder selber eine Meinung drüber bilden. Der Arbeitskreis für Gender-Politik hat jedenfalls bis heute nicht getagt (ca. sechs Monate), „weil der Arbeitskreis leider nur zwei aktive Mitglieder hat“ (bei 400 Mitgliedern im Kreisverband).

 

Mittlerweile argumentiert das feministische Internet nicht mehr mit den Statistiken vom Bundesamt, sondern nur noch mit den Statistiken vom jeweiligen Landesamt. Diesen Ebenenwechsel bewerte ich als bewusstes verdrängen einer unangenehmen Wahrheit auf Bundesebene, denn auf Landesebene existiert keine Differenzierung des Gender-Gap, wie ihn das Bundesamt veröffentlicht hatte. Argumentieren Feministinnen sogar wissentlich mit falschen Daten?

 

Schließlich endete ich bei Alice Schwarzer und der Frage: „Sind schwule Pornos auch böse? Und wenn Nein, warum nicht?“ Richtig schockiert war ich aber von Schwarzers Interventionen im Fall Kachelmann. Nüchtern betrachtet missbraucht die selbsternannte Feminismus-Queen ein Mißbrauchsopfer, um ihr Magazin und und ihre Männer-Phobie in die Medienlandschaft zu pressen.

 

„Populismus wurde Schwarzer auch im Fall Kachelmann vorgeworfen. Dort hatte sie für die BILD berichtet. Kachelmann stand für sie von Anfang an als prototypischer Täter fest.“

 

Heute sehe ich moderne Feministinnen durchaus in der Eigenverantwortung. Mir ist Jedermann lieb, der für seine Rechte streitet, aber nicht nur für seinen Vorteil. Und absolut niemand konnte mir bislang die einfache Frage beantworten, wie die Piraten Ämter besetzen sollen, bei einer grünen Frauenquote (50/50), aber nur 2 % Frauenanteil.

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